Antimuslimischer Rassismus produziert Differenz, also das ‚Anders-Sein‘.
Die ‚muslimischen Anderen‘ werden als rassifizierte Kontrastfolie zu einem weißen ‚Wir‘ konstruiert – und jene Differenzen werden über unterschiedlichste Bilder, Symbole und Erzählungen tradiert.
Vermeintliche Differenzen zwischen dem „weißen Wir” und den „muslimischen Anderen” verdichten sich zu wirkmächtigen politischen, medialen und gesellschaftlichen Diskursen, in denen rassistisches Wissen über die Figur ‚Muslim*in‘ (re)produziert wird.
Oft wird dieses Wissen als objektive Wahrheit begriffen, als Selbstverständlichkeit – und nicht etwa als gesellschaftlich gemacht.
Dabei verzichten antimuslimische Erzählungen mittlerweile auf biologistische Argumentationen. Es wird nicht mehr von Rasse, sondern von Kultur gesprochen, beispielsweise von einer ‚muslimischen‘ oder ‚arabisch-geprägten‘ Kultur, die als unvereinbar mit der ‚deutschen‘ Leitkultur gilt.
Die Debatten und die damit verbundenen rassistischen Praktiken sind dynamisch, widersprüchlich und subtil. In diesem Dossier versuchen wir, antimuslimischen Rassismus als eine Gewalt zu begreifen, die unsere Gesellschaft grundlegend strukturiert, und zwar anhand von drei konkreten Sektoren: Sicherheit, Arbeit und Wissen/Kultur.
Dabei behalten wir stets im Hinterkopf: Es gibt kein Außerhalb von Rassismus.
antimuslimischer Rassismus als nationale Ordnung
Öffentliche Debatten kreisen immer wieder um das Thema Sicherheit.
Interessant ist, dass anscheinend nur bestimmte Ängste von gesellschaftlichen und politischen Diskursen aufgegriffen werden.
Aus rassismuskritischer Perspektive ist dies gar nicht so überraschend: Nach Sara Ahmed lassen sich unsere Emotionen nicht nur als pure psychische Zustände des Inneren verstehen. Sie lassen sich ebenso als gesellschaftlich produzierte Wissens- und Beziehungsordnungen verstehen.
Schließlich ist es die Angst vor dem Schwarzen Mann, die uns als Kind ins Ohr gesummt wird und nicht die Angst vor dem Mann in der Lederhose, dem Mann in den Springerstiefeln oder dem Mann mit der Pistole.
Auch Ängste tragen also tradiertes Wissen über die vermeintlich gefährlichen ‚Anderen‘‚ in sich – Wissen, welches vor allem dann aktualisiert wird, wenn die (hegemoniale) Ordnung als erschüttert oder bedroht ausgerufen wird.
Die rassistischen Grenzziehungen zwischen einem ‚weißen, zu beschützenden Wir‘ und den ‚bedrohlichen Anderen‘ werden im antimuslimischen Rassismus buchstäblich zu physischen Grenzen:
Wie unsichtbare Linien ziehen sie sich durch den nationalen Raum, organisieren und teilen diesen entlang rassistischer Hierarchien.
So wird etwa Leipzigs Eisenbahnstraße zur polizeilich überwachten „gefährlichsten Straße Deutschlands”, während auf Sylt ungestört Nazi-Parolen gebrüllt werden.
Sicherheit funktioniert im antimuslimischen Rassismus somit als eine Struktur, die nicht nur das als muslimisch markierte ‚Andere‘ definiert, sondern auch bestimmt, wer sich wie in welchen nationalen Räumen und Territorien bewegen darf.
Die dabei produzierten Grenzziehungen ver-sichern nicht nur Machtverhältnisse im territorialen Innenraum.
Angst spreche die Sprache der Fluten und der Sümpfe, so Sara Ahmed, der Ströme und der Massen, der Katastrophen und Krisen.
Durch das kontinuierliche Ausrufen eines Krisenzustands werden rassistisch markierte Migrationsbewegungen strukturell in einen Bedeutungszusammenhang mit Bedrohung gebracht, die es abzuwehren gilt.
Dies äußert sich einerseits in eben jenen kolonial-tradierten Sprachmustern, die Schutzsuchende als Teil einer gesichtslosen, infiltrierenden Masse konstruieren. Andererseits äußert es sich auch in sehr körperlichen Figurationen wie dem rassistischen Bild des ‚Sexmigranten‘, welches bestimmte Affekte in bestimmte Körper einschreibt.
In all diesen Fällen bedient sich die Rechtfertigung extrem brutaler und unmenschlicher Grenzpolitiken der Dehumanisierung von Migrationsanderen und greift hierbei auf rassistisches Wissen zurück.
Diese Wissensbestände sind vor allem deshalb so schwer zu erfassen, weil sie sich oft widersprechen: Wir sind beispielsweise empört über ertrunkene Kinder, die an europäischen Stränden angespült werden, nicht aber über die Strukturen, die diese Kinder und unzählige andere Menschen getötet haben.
Im Gegenteil: Rassistische Diskurse rufen dazu auf, diese Strukturen zu verteidigen, wenn unsere gesellschaftliche Ordnung, ‚unsere Frauen‘, unsere kulturelle oder auch nationale ‚Reinheit‘ bedroht zu sein scheint. Gleichzeitig erlaubt uns das Mitleid mit der Opferfigur des ‚ertrunkenen Migranten‘, unser moralisches Gesicht zu wahren, so wie die Figur der ‚unterdrückten Muslima‘ uns die Selbstinszenierung als geschlechtergerecht ermöglicht.
Durch die z.B. ethnosexistische Dämonisierung der Anderen ergibt sich hier keineswegs ein Widerspruch zum europäischen Selbstverständnis als Bastion der Humanität. Gerade weil es diese (weiß gedachte) Humanität zu wahren und zu schützen gilt, müssen die dämonisierten Anderen reguliert, ausgeschlossen oder getötet werden.
antimuslimischer Rassismus als kapitalistische Ordnung
Das vorherige Kapitel betrachtet, wie Differenzen Ausschlüsse (re)produzieren, die das weiß-gedachte Deutschland national rein halten sollen.
Gleichzeitig wird Differenz in einem kapitalistisch organisierten Wirtschaftsraum zu einer kostbaren Ressource, die Körper ausbeutbar macht und das ‚Andere‘ zu einem verwertbaren, also in die Gesellschaft einzuschließenden Gut.
Diese Ambivalenz unterstreicht die gegenseitige Bedingtheit von rassistischen und ökonomischen Logiken. Das rassistische Moment wirkt auch hier ordnend:
Historisch wurden und werden Migrant*innen einerseits aufgrund ihrer ökonomischen Nützlichkeit begrüßt, andererseits aber auch immer mit rassistischen Abwehr- und Begrenzungsdiskursen konfrontiert.
Diese Diskurse greifen auf tradierte, rassistische Argumentationsmuster zurück, welche Ausschluss und Hierarchisierung legitimieren. Ein Beispiel hierfür ist die aktive (Re-)Produktion der Vorstellung von ‚guten und schlechten Ausländern’
Die Grenzziehungen zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen sowie zwischen ‚guten‘ und ‚schlechten‘‚ Migrant*innen werden in der Verquickung von Integrations- und Arbeitsmarktpolitik deutlich: Die Zugehörigkeit zur Nationalgemeinschaft – sowohl sozial als auch in Form von Aufenthaltserlaubnis oder Staatsbürgerschaft – wird vor allem an Integrations- und Leistungskriterien bemessen.
Jene, die in diesem Paradigma als Integrations- und Leistungsverweigerer*innen bewertet werden, gelten dann wiederum als Auszuschließende – obwohl es rassistische Machtverhältnisse sind, die Zugänge und Chancen ungleich verteilen.
„Wenn der Kapitalismus in der Lage gewesen ist, sich zu reproduzieren, dann nur aufgrund der Ungleichheit, die er in den Körper des Weltproletariats integriert hat, sowie aufgrund seiner Fähigkeit, die Ausbeutung zu globalisieren.”
Silvia Federici
Die historische (Dis-)Kontinuität rassistisch organisierter Arbeitsverhältnisse reicht bis in das deutsche Kolonialreich zurück.
Auch die Arbeitsmigration im Zuge der Anwerbeabkommen der sechziger Jahre lässt sich als ein solches Projekt verstehen und stellt einen Knotenpunkt in der Geschichte antimuslimischer Verhältnisse in Deutschland dar. Bevor Menschen überhaupt zu ‚den Muslim*innen‘ gemacht wurden, wurden sie als ‚die Türken‘ adressiert und davor als ‚Gastarbeiter‘.
Auch hier wurde also ein ökonomisch begründeter Einschluss der sogenannten Gastarbeiter*innen also zunehmend durch rassistische Ausschlüsse organisiert und reguliert.
Dies spiegelte sich diskursiv in der Rekonstruktion der Kategorie ‚Gastarbeiter‘ als ‚Ausländer‘ und in ganz konkreten politischen sowie gesellschaftlichen Ausschlusspraktiken wider, die durch rassistische Narrative sowie Bedrohungsszenarien gestützt wurden.
Entgegen der rassistischen Logik handelte es sich eben nicht um „Gäste”, die sich je nach ökonomischem Bedarf Deutschlands entsorgen oder austauschen lassen, sondern um eigenwillige Subjekte, die sich durch unterschiedlichste Widerstands- und Bleibepraktiken dem Migrationsregime widersetzten und deutsche Arbeitsverhältnisse mitgestalteten.
„Es wurden Arbeiter gerufen, aber es kamen Menschen an“ – sang der türkische Sänger Cem Karaca 1984. Diese Menschen blieben und transformierten mit ihrer Anwesenheit Deutschland zu jener pluralistischen Gesellschaft, wie wir sie bis heute noch erleben.
antimuslimischer Rassismus als epistemische Ordnung
Die Redewendung besagt: „Wissen ist Macht”.
Und: Wissen ist gemacht.
In der klassischen westlichen Erkenntnistheorie wird Wissen häufig als objektiv dargestellt. Dabei wird vorausgesetzt, dass Wissen entkörperlicht und frei von sozialen oder historischen Gegebenheiten produziert werden kann.
Die Rassismuskritik versteht diese Objektivität allerdings als Konstrukt der Herrschaft. Donna Haraway bezeichnet dies als god-trick: eine Wissensproduktion, die aus einer übermenschlichen Perspektive erzählt wird und sich so den sozialen, kulturellen und historischen Prozessen entzieht, aus denen dieses Wissen entstanden ist. Dieses Wissen ist vor allem deshalb so mächtig, weil es sich als universale Wahrheit inszeniert.
In einer rassistischen Gesellschaft spiegelt sich dies beispielsweise in Symbol- und Bildkonstruktionen wider, die die weiße Norm als universalen Blickpunkt einnehmen und ‚Wahrheiten‘ über rassifizierte Andere formulieren.
Dabei werden die gewaltvollen Strukturen verschleiert, die es überhaupt ermöglichen, dass die einen universale Gültigkeitsansprüche formulieren können, während die anderen nur in ihrer Spezifik adressiert werden. Gewaltvolle rassistische Wissensbestände werden als neutral, natürlich oder normativ erklärt.
Das Bildungssystem illustriert, wie auch antimuslimischer Rassismus diese ‚Wahrheiten‘ ordnet: In Form von Lehrplänen oder Schulbüchern beispielsweise werden bestimmte Wissensordnungen institutionalisiert, die wirkmächtige Normalitäten reproduzieren.
„Nur wer sich die Welt zuvor gewaltsam unterworfen und diesen Zustand zur Normalität erklärt hat, kann sich selbst als deren Zentrum und privilegierten Wissensproduzenten imaginieren”
Claudia Brunner
„Dabei erfolgt die Verankerung vornehmlich in folgenden Themenfeldern:
Extremismus
(Islamismus/Religiöser Fundamentalismus, al-Qaida und die Anschläge des 11. September 2001, Krieg gegen den Terror, Islamischer Staat, Syrienkrieg)
Migration/Integration
(„Gastarbeiter“, Anzahl der Muslim:innen in Deutschland, Diskriminierung als Hindernis für Integration)
Demokratie- und Menschenrechtsbildung
(Islamismus als Gegner der Demokratie, Bedrohung/Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit)”
Die rassistischen Erzählungen des Orientalismus bleiben allerdings nicht ungebrochen.
Damals wie heute wehren sich Menschen gegen rassistische Repräsentationen, in die sie gedrängt werden. Sie zeichnen ihre eigenen Bilder, erzählen ihre eigenen Geschichten und irritieren vermeintliche Normalitäten immer wieder.
Geschichten des Rassismus sind somit daher immer auch Geschichten des Widerstands.
Wilde Krieger in Karl-May-Romanen und vermeintlich aggressive Jugendliche in der Tagesschau.
Geschichten von verschleierten Frauen, die sich entweder nackt räkelnd auf Kolonialgemälden zeigen oder als Unterdrückte in den Schlagzeilen der Emma erscheinen.
Exotische Gewürze, weise Philosophen aber auch religiöse Extremist*innen, manchmal Terrorist*innen, manchmal Protagonist*innen in Liebesabenteuern aus billigen Bahnhofsromanen und dann doch wieder Sexualstraftäter*innen in der neuen BILD-Ausgabe.
Immer eine Bedrohung und doch ein Ort der Sehnsüchte.
Es gibt Tausende Geschichten, die im antimuslimischen Rassismus erzählt werden. Edward Said nennt sie beim Namen: Orientalismus. In seiner gleichnamigen Studie (1978) analysiert Said westlich-koloniale Texte aus dem 18. Jahrhundert über den ‚Orient‘ und untersucht, wie dieser mittels hegemonialer Wissensproduktionen konstruiert wird.
In dieser Wissensproduktion geht es weniger darum, wie der ‚Orient‘ tatsächlich ist, sondern vielmehr darum, wie er sich von einem weißen ‚Okzident‘ unterscheidet. Auch Said verstand also veranderndes Wissen als Herrschaftsinstrument.
Wie müssen die orientaliserten ‚Anderen‘ sein, damit das koloniale ‚Wir‘ sein (und handeln kann) wie es möchte?
Dies ist eine essentielle Frage, die Said mit Orientalismus aufwarf.
Viele der in diesem Dossier behandelten Bilder und Erzählungen entstammen orientalistischen (und somit auch rassistischen) Wissensbeständen, die bereits von Said kritisiert wurden. Erschreckend auffällig ist, wie hartnäckig sich orientalistische Zuschreibungen im antimuslimischen Rassismus immer wieder neu erfinden, ohne ihre koloniale Funktion zu verlieren.
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Konzept & Redaktion: Anna Sabel / Bailey Ojiodu-Ambrose
Lektorat: Anna Sabel / Patiani Batchati
Gestaltung: Bailey Ojiodu-Ambrose
Entwicklung: Ahmet Erdem Şentürk